Mit der vorliegenden Publikation werden über 450 Göttinger Künstlerinnen und Künstler erstmals unter intensiver Auswertung zahlreicher Quellen mit ihren Biographien und einem Auszug aus ihrem Werkverzeichnis vom 14. Jahrhundert bis zum Geburtsjahr 1950 vorgestellt. Eine große Zahl von unbekannten Künstlern – mehr als anfänglich zu erwarten war – konnte ans Licht geholt werden. Zudem war es möglich, bislang anonyme Werke einem Kunstschaffenden namentlich zuzuweisen. Dabei beleuchtet die Auswertung von Archivmaterial nicht nur die Entstehungsgeschichte der Werke, sondern bietet auch interessante Einblicke in die besonderen und alltäglichen Lebensumstände der Künstler in ihrer Zeit. Damit werden die bisherigen Kenntnisse über die kulturelle Entwicklung der Stadt Göttingen wesentlich erweitert und auf eine wissenschaftlich belegbare Basis gestellt. 231 Abbildungen ergänzen den Text und führen Göttinger Kunst auch plastisch vor Augen. Dem interessierten Leser wird ein umfassendes, informatives und auch spannendes Nachschlagewerk zu sechs Jahrhunderten Göttinger Kunstgeschichte an die Hand gegeben.

Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft, Jg. 30 (2022)

Ernst Böhme, (ehem. Leiter des Stadtarchivs und des Städtischen Museums in Göttingen), Göttingen, April 2022: Es widerspricht allen Regeln des Rezensentenhandwerks, eine Besprechung mit einer negativen Bemerkung zu beginnen. Aber diesmal führt leider kein Weg daran vorbei: Die Untersuchung von Thomas Appel ist kein Künstlerlexikon. Seine Arbeit, die von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen und mit magna cum laude bewertet wurde, ist sehr viel mehr! Appel verbindet eine zusammenhängende Darstellung der Künstler- und Künstlerinnengeschichte in Göttingen mit einer lexikalisch-biografischen Vorstellung sämtlicher in diesem Zeitraum in der Stadt nachweisbaren Künstlerpersönlichkeiten. Beide Teile, und das muss bereits hier vor allem für den lexikalischen Abschnitt betont werden, beschränken sich nicht darauf, wie üblich bereits publiziertes Wissen zusammenzutragen, sondern sind das Ergebnis umfassender, breit angelegter und bewundernswert akribischer Auswertung zahlreicher archivischer und gedruckter Quellen. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit dem Nachweis des ersten Göttinger Künstlers im Jahr 1328 und reicht bis zu jenen Künstlern des 20. Jahrhunderts, deren Geburtsjahr um 1950 liegt. Diese zeitliche Begrenzung begründet der Verfasser überzeugend – mit der nicht zu bewältigenden Datenfülle, aber auch mit datenschutzrechtlichen Auflagen. In der nach Jahrhunderten gegliederten, zusammenhängenden Darstellung erfährt auch der mit der Materie einigermaßen vertraute Leser immer wieder überraschende und anregende Neuigkeiten, die hier nur in kleiner Auswahl erwähnt werden können. So weist Appel erstmals auch die profanen Arbeiten der Künstler des Mittelalters und der Neuzeit nach, die zur Sicherung des Lebensunterhalts unvermeidlich waren. Sie geben einen Einblick in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Verankerung der Künstler, bleiben aber in den bisherigen kunstgeschichtlichen Untersuchungen zugunsten der „höherwertigen“ sakralen Werke meist ausgeblendet. Zu diesem Aspekt des Künstleralltags gehört auch die Betätigung der Maler als Landwirte oder Kleinhändler – damals wie heute konnten nur die wenigsten allein von ihrer Kunst leben. Auch für die späteren Zeiten eröffnet der Verfasser neue Perspektiven und bietet wichtige neue Erkenntnisse. So nimmt er, auch das ein bisher vernachlässigter Bereich, die „höheren Töchter“ als begabte und produktive Künstlerinnen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in den Blick. Neben wichtigen Neuentdeckungen wie Rose du Bois-Reymond, Caroline Emilie Helene von Denffer und Luise Rosenbach werden auch die meist einschränkenden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen deutlich, unter denen diese Frauen ihre Kreativität auslebten. Viel Neues bieten auch die Untersuchungen zu den Organisationsformen des Göttinger Kunstlebens wie der „Vereinigung Göttinger Kunstfreunde“ und dem „Bund Bildender Künstler“ sowie die Planungen zur Errichtung einer Kunsthalle in Göttingen. Die über 450 Künstlerbiografien sind, wie schon betont, keine Zusammenstellung des vorhandenen Forschungsstands zu den jeweiligen Künstlern, sondern fast immer das neueste Ergebnis intensiver Forschungsarbeit des Verfassers mit den Quellen. Erfasst werden Maler, Bildhauer, Grafiker und Architekten, nicht berücksichtigt sind die Gold- und Silberschmiede, über die der Verfasser bereits eine Studie vorgelegt hat. Die für Göttingen wichtigen Porzellanmaler werden nur bearbeitet, wenn sie auch auf dem Gebiet der Ölmalerei oder Grafik tätig geworden sind. Aus der schier unüberschaubaren Fülle an Namen und Informationen seien einige wenige Bespiele herausgegriffen, um die Vielfalt an Informationen anzudeuten, die den Leser hier erwarten. Johann von Gandersheim d. Ä., der bis 1430/31 in Göttingen nachweisbar ist, ist nicht nur mit seinen Kreditgeschäften und seinem Grundbesitz greifbar, sondern wird vom Verfasser durchaus nachvollziehbar als möglicher Schöpfer des Barfüßeraltars ins Spiel gebracht. Jürgen Wasmod d. J. wiederum, jüngerer Zeit- und Berufsgenosse des prominenteren Bartold Kastrop, musste als Bildschnitzer mit dem Problem fertig werden, dass ihm wie allen seinen Kollegen mit der Einführung der Reformation die Aufträge weggebrochen waren. Er wechselte in den profanen Bereich und war an der künstlerischen Ausstattung des neu errichteten Göttinger Kaufgildehauses beteiligt. Johann Günther Bornemann, der einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie entstammte, war ein geborener Göttinger, der sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts möglicherweise bei Johann Heinrich Tischbein in Kassel zum Künstler ausbilden ließ. Da er längere Zeit in Göttingen tätig war, sind im Städtischen Museum einige Porträts von ihm erhalten. Er war auch der Schöpfer einer erst kürzlich in der Albani-Kirche wiederentdeckten „Bergpredigt“, eines der wenigen religiösen Göttinger Ölgemälde aus dem 18. Jahrhundert. Die Gegenüberstellung so gegensätzlicher Personen und Schicksale wie Arthur Goetting und Wolfgang Willrich mag diese Beispielreihe abschließen. Goetting, der aus dem schleswig-holsteinischen Preetz stammte, war verheiratet mit einer jüdischen Frau und wurde deshalb von den Nationalsozialisten als Zeichen- und Werklehrer in Eckernförde entlassen. Anschließend musste er in einem Göttinger Rüstungsbetrieb arbeiten. Wie vielen Opfern des Nationalsozialismus gelang es auch ihm nach 1945 nicht, beruflich wieder Fuß zu fassen. Der geborene Göttinger Wolfgang Willrich hingegen hatte sich schon früh den Nationalsozialisten angedient, war führend an der Ausstellung „Entartete Kunst“ beteiligt und Mitglied einer Kommission zur Beschlagnahme „entarteter Kunst“. Willrich überlebte den Krieg unbeschadet und konnte nach 1945 wohlgeachtet wieder an seine Tätigkeit als Künstler anknüpfen. Formal und methodisch ist das Göttinger Künstlerlexikon ohne Fehl und Tadel. Eine Künstlerübersicht über die frühe Zeit des 14. bis 17. Jahrhunderts ist ebenso vorhanden wie ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis. Die Lexikonartikel sind übersichtlich aufgebaut und bieten neben den Biografien der Künstler deren familiären Hintergrund, die Wohnorte in Göttingen, eine Liste ausgewählter Werke und weiterführende Literatur. Die Untersuchung von Thomas Appel ist zugegebenermaßen zwar keine Geschichte der Kunst in Göttingen, bleiben doch anonyme Werke der Kunst und Architektur wie insbesondere die Kirchen unberücksichtigt. Aber diese Einschränkung wird dadurch mehr als ausgeglichen, dass durch den wahrhaft bewundernswürdigen Umfang des Quellenstudiums und die Größe des Untersuchungszeitraums zahlreiche Neuentdeckungen Göttinger Künstler, neue Zuweisungen bisher anonymer Werke und interessante Einblicke in wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge der Künstler möglich werden. Das Künstlerlexikon von Thomas Appel wird für alle, die sich mit Göttinger Künstlern und Künstlerinnen beschäftigen, gerade auch bei Forschungs- und Inventarisierungsarbeiten in den Museen, künftig zum unentbehrlichen Handwerkszeug gehören. Nicht zuletzt hat der Verfasser mit der einführenden zusammenhängenden Darstellung unter dem Titel „Durch die Jahrhunderte – Einblicke in das Göttinger Kunstleben“ einen flüssig geschriebenen Überblick gegeben, der für Laien und Fachleute gleichermaßen Erkenntnisgewinn mit Lesegenuss verbindet.

AUSKUNFT, Jg.42 (2022), H.2, S. 429-431

Publikationstyp: Hochschulschrift

Sparte: Universitätsverlag

Sprache: Deutsch

ISBN: 978-3-86395-504-5 (Print)

URN: urn:nbn:de:gbv:7-isbn-978-3-86395-504-5-3

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